Herr Koslowski und die Welt da draußen

Fast 70 Schüler und Schülerinnen des Gymnasiums am Treckfahrtstief haben in diesem Tagen an einem intensiven Training für Bewerbertests teilgenommen.

Vom EZ-Redakteur Jens Voitel
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Emden. Wer ein paar Stunden mit Uwe Sanwald in einem hitzedurchfluteten Klassenzimmer verbringt, der könnte den Eindruck gewinnen, die Welt da draußen besteht vor allem aus Haken und Ösen. Zumindest aus Sicht von Gymnasiasten des elften Jahrgangs: Alles, was man sagt oder auch nicht sagt, was man tut oder auch nicht, was man nur zu denken scheint oder tatsächlich denkt, wird im Zweifeldfall gegen einen verwandt. So fühlt sich das jedenfalls an.

Dabei ist Uwe Sanwald auf den ersten, ja, selbst auf den zweiten Blick ein ganz Netter. Allerdings ist er uch Unternehmens uns Personalberater- und Personalberater und somit mit so manchen Wassern gewaschen. Und wenn ein professioneller Unternehmens- und Personalberater 16- bis 18-jährige Gymnasiasten auf die anstehenden Bewerbungsgespräche und Bewerbungstests vorbereite, dann sollte man offenbar tunlichst alles auf die Goldwaage legen. Zumindest zur Probe. Schaden kann s nicht.

Knapp 70 Schüler und Schülerinnen des Emder Gymnasiums am Treckfahrtstief (GaT) haben in diesen Tagen an einer sogenannten „vertieften Berufsorientierung“ teilgenommen. Das Ziel der von der Agentur für Arbeit und der Sparkasse Emden gesponserten und von der UP-Consulting GmbH aus Rotenburg/Wümme durchgeführten Aktion: Die Schüler sollen einen Einblick in ein sogenanntes Assessment-Center gewinnen. Denn immer mehr Unternehmen reifen auf dieses Auswahlverfahren zurück, um möglichst die richtigen Führungskräfte zu finden. Hier durchleuchten sie die Bewerber, blicken ihnen dabei genau auf die Finger und in die Augen und arbeiten mit allerhand Psychologie. Gut, wenn man darauf ein bisschen vorbereitet worden ist.

Erster Test

Uwe Sanwald trägt das rot-weiß-karierte Hemd über der Hose und keinen dunklen Anzug. Er gibt sich locker, streut gern einen lockeren Spruch ein – und bleibt doch bestimmt. Aufkommende Unruhe oder Zwischenfragen geht er offensiv an, ohne lauter zu werden. Trotz der zunehmenden Hitze ist der Klassenraum von einer fast greifbaren Konzentration erfasst. Nach einer Vorstellungsrunde der erste Test: Auf einem DIN-A 4-Blatt sollen die Schüler nach einer scheinbar klaren Anweisung bestimmte Buchstaben ankreuzen und zählen. Es sind viel zu viele Zeichen, um sie alle in nur drei Minuten herauszustreichen. Stress! Es geht um das genaue Lesen der Aufgabe, um möglichst viele Treffer, aber längst nicht darum, alles zu schaffen. Aber das wissen die Schüler zu diesem Zeitpunkt nicht.

Und nicht alles dreht sich um das Stück Papier. „Sucht euch eine Schreibunterlage, wer keine hat, nimmt sich einen Block und ein Heft als Unterlage.“ Ein Schüler schnappt sich den Tageslichtschreiber als „Schreibunterlage“. – Ein Fehler! Die harmlose Schreibunterlage gehört auch zum Test. Wer von der klaren Anweisung abweicht, hat schon etwas falsch gemacht.
„Das sind keine Tricks“, sagt Uwe Sanwald in einer Pause gegenüber der Emder Zeitung. Es geht zum einen darum, dass sich die Bewerber während eines solchen Tests tatsächlich unbedingt an die Vorgaben halten sollen. Alles andere könnten die Experten des Assessment-Centers – darunter sind nicht selten Psychologen – schlimmstenfalls als fehlende Teamfähigkeit auslegen. Wer sich in einer Gruppe einen Vorteil verschafft, sagt manchmal viel mehr über sich als ihm nachher lieb ist. Und zum anderen geht es darum, dass man in einem Assessment mit allem rechnen muss.

Dazu gehört auch, dass der Personalchef seinen Bewerber schon mal zum Essen ausführen könnte: Wohin? Zum Italiener. Was gibt es dann? Spaghetti. Rotwein oder Weißwein? Das ganze Leben wird da zum Test. Wie kommt der Bewerber mit dem Spaghettiessen in der Öffentlichkeit zu Recht? Trinkt er tatsächlich Alkohol bei einem solchen Geschäftsessen? Wählt der Bewerber das teuerste Gericht oder das preiswerteste. Die GaT-Schüler sollen zumindest mal gehört haben, dass eine solche Herausforderung auf sie lauern kann, sagt Sanwald.
Entsprechend sensibilisiert gehen die angehenden Abiturienten in die nächste Runde. Eine Gruppe von zehn Schülern soll eine Rangliste von Eigenschaften festlegen, die die Führungskraft einer Bank haben sollte. Der imaginäre Chef, Herr Koslowski, kommt in zehn Minuten und will Ergebnisse. Was nur wie eine harmlose Gruppenarbeit aussieht, ist eine weitere Versuchsanordnung. Und nicht nur die zehn Schüler im inneren Kreis der Klasse sind die Probanden, sondern auch die Mitschüler um sie herum.

Hinterfragt

Wer übernimmt die Führung? Wer lässt den anderen nicht ausreden? Wer sagt gar nichts? Wem wird der Kopf zu schwer, dass er sich abstützen muss? Wer kann seine Position auch nach außen vertreten? Wer lässt sich unterbuttern? Uwe Sanwald - jetzt in der Rolle des Bankvorstandes Koslowski - setzt die Schüler zunehmend unter Druck: Nachfrage. Noch eine Nachfrage. Gegenfrage. Nachhaken. Die Schüler müssen sich rechtfertigen. In immer kürzeren Abständen. Ein verlegenes Lächeln wird vom „Chef“ hinterfragt, ein lockeres Wort genau abgewogen. Es ist ein Schlagabtausch.

Dann kommen die Beobachter dran. Sie sollen das vorausgegangene Verhalten bewerten. Doch mit welchen Worten? Lob, Verbesserungsvorschläge, Begründungen. Wieder hakt Sanwald nach, verbessert.

Mehrere Stunden stellen sich die GaT-Schüler dem Personalberater. Sie halten dagegen, fragen nach, verbessern sich. Und während die Schulleitung für die unteren Jahrgänge Hitzefrei ausruft, machen sie weiter: Uwe Sanwald legt nach, und nach einer gewissen Zeit hat man den Eindruck, die Schüler rechnen inzwischen mit allem. Damit hätte der Experte eines seiner Ziele erreicht.